Ein bisschen abenteuerlustig sollte man schon sein, wenn man sich dafür entscheidet, seinen Arbeitsplatz für einige Zeit ins Ausland zu verlagern. Nachdem ich beruflich aber bereits zwei Jahre in den USA war, war für mich gleich klar: Das möchte ich nochmal erleben!
Meine Freunde waren von der Idee wenig überrascht – die sind nichts anderes von mir gewohnt – und auch von meiner Frau, damals noch meine Freundin, konnte ich volle Unterstützung erwarten. Nach Amerika war der Gedanke an China für sie zunächst ein wenig ungewohnt. Aber nach zahlreichen Bewerbungen auf Stellen, die für mich als Ingenieur bei Daimler gepasst hätten, hatten wir uns dann sowieso schon beinahe damit abgefunden, dass aus einem weiteren Auslandsaufenthalt wohl nichts werden wird.
Mach nur, wird bestimmt wieder nichts.
Zu der Stelle im Bereich „Vehicle Integration“ in Shenzhen meinte sie dann nur: „Mach nur, wird bestimmt wieder nichts.“ Aber es wurde: Als wir gerade zu Besuch bei Freunden am Wörthersee waren, kam die Zusage. Im ersten Moment hatte ich da Gänsehaut. Meiner Frau ging es ähnlich: Man freut sich und hat zugleich ein mulmiges Gefühl.
Vor allen Dingen hatten wir die Frage im Kopf: was müssen wir vor dem Abflug noch alles erledigen? Meine Chefs in Graz wussten noch gar nichts davon und auch meine Frau würde kündigen müssen. Aber wir hatten Glück. Nicht nur meine Chefs gaben grünes Licht, auch die Firma meiner Frau verstand unsere Entscheidung.
To-dos vor China
Erstmal gab es reichlich Organisatorisches zu tun – neben den eher lästigen Dingen, wie etwa Diplomurkunden beglaubigen zu lassen oder die Wohnung leer zu räumen, wurde außerdem noch schnell geheiratet – aber im Dezember bekommt man zum Glück flott einen Termin. Eine so kurzfristige Hochzeitseinladung hatten unsere Freunde und Verwandten garantiert noch von niemandem bekommen!
Auf China habe ich mich zum Beispiel durch Telefonate mit Bekannten vorbereitet, die schon einmal dort waren. Als weltoffener Mensch war für mich allerdings eigentlich klar, dass ich mich auch dort gut werde einleben können und die Vorfreude überwog alle Fragezeichen. Für uns (damals noch zwei) hieß es jetzt also, dass wir ab März 2013 für die nächsten drei Jahre die idyllischen Seen Österreichs gegen Strand und Meer der südchinesischen Küste tauschen würden. Ich ging am 1. März nach China, meine Frau kam im Mai nach.
DENZA Elektroauto: In China für China
Während meiner Zeit in China war ich für das Elektroauto DENZA zuständig, das im Rahmen des Joint Venture zwischen Daimler und BYD („Build Your Dreams“) ausschließlich in Shenzhen für den chinesischen Markt produziert und in ausgewählten Ballungsräumen vertrieben wird. BYD ist einer der größten Automobilhersteller Chinas und führend auf dem Gebiet der Elektromobilität. Ziel war es, den 2012 erstmals als Prototyp vorgestellten DENZA zur Serienreife zu bringen.
Ich war im Bereich „Vehicle Integration“ tätig und machte beispielsweise Einbau- oder Freiganguntersuchungen. Das bedeutet unter anderem, potenzielle Einbausituationen virtuell am Computer zu simulieren und deren Realisierbarkeit zu überprüfen. So testeten wir etwa, wie wir den vorhandenen Motorenraum optimal ausnutzen und verhindern, dass Bauteile miteinander kollidieren.
Fahrgemeinschaften und neue Ordnung
Im Arbeitsleben musste ich mich an einige neue Strukturen gewöhnen. Das fing schon bei der Parkplatzsuche morgens an: Ich war Teil einer Fahrgemeinschaft, aber auch für nur ein Auto Platz zu finden, war gar nicht so leicht. Schnell stellte ich fest, dass die chinesische Kreativität diesbezüglich keine Grenzen kennt. Autos werden teilweise abgestellt, ohne einen Gedanken daran, dass jemand dadurch behindert werden könnte. Da werden auch schon mal die Gehwege mitbenutzt und zweispurige Straßen zu einer einspurigen verwandelt. Durchkommen fast unmöglich!
Während der Arbeit in unserem Joint Venture war ich anfangs hauptsächlich damit beschäftigt, mir einen Überblick zu verschaffen und sprang ein, wo es gerade brannte und wo Not am Mann war. Zugegeben ein wenig überfahren von den für mich ungewohnten Problemen in der Organisation und Kommunikation, arbeitete ich mich nach und nach durch die Aufgaben und versuchte einen Teil der aus meinem Werk in Österreich gewohnten Ordnung in das System zu bringen.
Wie auch der DENZA, stand ich also voll unter Strom: In China für China.






Zauberer und Lederhosen
Ich wollte einen Überblick gewinnen und mich daran gewöhnen, gezielt Themen komplett an die chinesischen Kollegen zu übergeben. Von Beginn an habe ich sehr selbstständig gearbeitet. Mein Chef hat mir voll vertraut und es war auf Grund der Themenvielfalt und des hohen Tempos gar nicht möglich, jedes Detail mit ihm abzustimmen.
Auch wenn es zu Beginn eine große Umstellung zu der Arbeitsweise war, die ich aus dem österreichischen Werk kenne, habe ich diese zusätzlichen Freiheiten, die mir gelassen wurden, doch genossen. Ganz anders als die wenig flexiblen Arbeitszeiten, die mir doch zu schaffen machten. Gleitzeit, wie man es hier kennt, gibt es in Shenzhen in unserem Joint Venture noch nicht.
Ein Ereignis, bei dem die verschiedenen Kulturen innerhalb des Joint Ventures auch deutlich wurden, war unsere Neujahrsfeier im vergangenen Jahr: Alle Abteilungen durften eine selbstgewählte Showeinlage zum Besten geben. Da gab es von der Tanzperformance bis hin zur Zaubereinlage alles. Man kann aber wohl sagen, dass wir Expats aus Österreich und Deutschland in unseren Lederhosen bestimmt die zünftigste Figur abgaben.
Wochenende auf den Philippinen
China und der asiatische Raum an sich bieten eine unglaublich facettenreiche Palette an Reisezielen – da ist schlicht jeder selbst schuld, der diese Chance in seiner Freizeit nicht nutzt. Von Deutschland aus fliegt man nicht so eben mal auf die Philippinen – hier jedoch gibt es durchaus Kolleginnen und Kollegen, die sich dort immer mal wieder eine Auszeit beim Tauchen gönnen. Japan, Malaysia, Singapur und Hongkong sind nur einige Orte, die von Shenzhen aus einfach zu erreichen sind.
Meine persönlichen Reise-Highlights in China waren unter anderem die Chinesische Mauer, der 3 Schluchten Staudamm, die Reisterrassen in Guilin und die Terrakotta Armee in Xi‘an.
Im Alltag hatte ich mir vor meiner Expat-Zeit vorgestellt, neben dem Land auch die Menschen in China noch besser kennenzulernen. Der Kontakt, zum Beispiel mit Nachbarn, blieb jedoch eher zurückhaltend. Oftmals lag das an den unterschiedlichen Erwartungshaltungen. Da war es keine Seltenheit, dass ich gefragt wurde, warum ich mit meinen 35 Jahren noch kein Teamleiter bin, oder es wurde hinterfragt, warum ich kein eigenes Auto besitze, obwohl ich es mir doch leisten könne. Dass das auch bewusste Entscheidungen sein können, die mehr Raum für etwas anderes lassen, ist in dem Umfeld in China, das ich kennengelernt habe, noch eher ungewöhnlich.
Der Super-„GAU“ (Gāo)
Die kulturellen Unterschiede zeigten sich auch täglich auf der Straße. Dass meine Frau und ich beide über 1,90 m groß sind, führt zwar auch in Österreich zu neugierigen Blicken, trotzdem mussten wir uns anfangs daran gewöhnen, dass man in China direkt und ganz unverhohlen auf der Straße darauf angesprochen wird. Abgesehen davon, dass es ziemlich nerven kann, zum 100. Mal zu erfahren, dass man sehr groß ist, konnten wir zum Beispiel in Chengdu lediglich gebückt U-Bahn fahren.
Da wird einem dann doch schmerzlich bewusst, dass die meisten Menschen in China einfach kleiner sind, als wir Europäer. „gāo“, was „groß“ bedeutet, war deswegen auch eines der ersten Worte, die wir lernten.
Einen Teil unsere Freizeit haben wir also mit anderen Expats verbracht. Diese Gemeinschaft ist hilfreich, um von den Erfahrungen und Tipps zu profitieren, die uns die Kollegen mitgeben konnten, die schone etwas länger in China lebten. Das ging vom Umgang mit Strafzetteln bis zum Lebensmitteleinkauf.
Wir sind zusammen essen gegangen oder haben uns oft auch privat zum Kochen getroffen. Ab und an gab es schon auch mal einen Männerabend mit Kartfahren und anschließendem Besuch im Deutschen Bierhaus, in dem es auch Weißwurst gab. So haben wir die Erinnerung an die Heimat aufrechterhalten, natürlich mit einem ordentlichen Weißbier.
Geburt in Hongkong
Das größte Highlight während meiner Zeit in China war allerdings die Geburt meines Sohnes. Auch wenn das Ganze vielleicht etwas abenteuerlicher war, als wir es uns gewünscht hätten: Laut Versicherung haben die Krankenhäuser in Shenzhen zwar westlichen Standard, wir entschieden uns aber lieber für eine Geburt in Hongkong.
Das bedeutete 40 Kilometer Fahrt zu jeder Vorsorgeuntersuchung, und auch vor der Geburt war meine Frau bereits zwei Wochen bevor es losging vor Ort. Also einige logistische Herausforderungen! Allerdings sprachen dort alle Ärzte und das Pflegepersonal fließend Englisch und gerade bei der Geburt des ersten Kindes waren wir um alles Vertraute dankbar.
Zudem war es in Hongkong einfacher, direkt einen Not-Pass für unser Kind zu bekommen – so hätten wir theoretisch mit dem Baby ohne Probleme jederzeit spontan ausreisen können. Das ist schon eine gewisse Sicherheit, auf die wir nicht erst einige Wochen warten wollten.
Vom Sachbearbeiter zum „Teamleiter“
Neben den privaten und beruflichen Abenteuern, denen sich wohl jeder Expat gegenüber sieht, kann ich also mit Fug und Recht behaupten, eine ganz besondere Erfahrung während meiner Expat-Zeit in Shenzhen gemacht zu haben. Und in gewisser Weise bin ich darüber hinaus Teamleiter eines Dreier-Teams geworden, zumindest in meiner Familie. Ein Posten, den ich mir mit meiner Frau teile.
Jetzt sind wir wieder in Europa, ganz zurück nach Österreich geht es aber nicht: Als nächstes werde ich eine Stelle im Mercedes-Benz Werk Sindelfingen in der Entwicklung antreten und mich weiteren kulturellen Herausforderungen stellen. Ich freue mich wieder in der Nähe der Heimat zu sein und auch meine Familie und Freunde wieder etwas öfter zu sehen. Der Kleine geht außerdem bald in die Kita – und ich denke, daran, nicht mehr die Größten zu sein, müssen wir uns alle drei erst mal gewöhnen.
Der Beitrag Abenteuer China – Expat in Shenzhen erschien zuerst auf Daimler-Blog.