Chancen muss man nutzen! Es ist nicht so, als hätte ich seit Längerem geplant, eine Stelle im Ausland anzunehmen. Aber als ich von dieser Möglichkeit erfuhr, als Impat für einige Zeit in Deutschland zu arbeiten, war für mich gleich klar: Diese einmalige Chance, die deutsche Arbeitskultur hautnah mitzuerleben, muss ich nutzen! Und so bin ich nun in Stuttgart gelandet, wo ich für die nächsten zwei Jahre leben und arbeiten werde.
Zunächst hieß es aber natürlich erstmal, den Bewerbungsprozess für die Impat-Stelle zu durchlaufen. Es galt, insgesamt drei Bewerbungsrunden zu bestehen. Als erstes ein Bewerbungsgespräch in China, danach ein telefonisches Interview mit dem zukünftigen Vorgesetzten in Deutschland. Als das geschafft war, folgte noch ein persönliches Gespräch mit ihm, für das ich nach Deutschland geflogen bin.
Um diese Hürden zu bestehen, war es sicher sehr hilfreich, dass ich mich in meinem letzten Job, ähnlich wie in meinem jetzigen, mit der Vermittlung zwischen der deutschen und chinesischen Kultur und Arbeitsweise auseinandergesetzt habe. Während der letzten drei Jahre bei Daimler Greater China war es meine Aufgabe, deutschen Ingenieuren die Wünsche chinesischer Kunden und die Ansprüche des chinesischen Marktes zu vermitteln und näherzubringen.
Kofferräume im Vergleich
Ich war dort Teil des Teams „China Insight“ innerhalb der Forschungs- und Entwicklungs-Abteilung. Dieses Team erforscht beispielweise, wie chinesische Autobesitzer im Vergleich zu Deutschen ihren Kofferraum packen. Wie sie vielleicht aus eigener Erfahrung wissen, transportiert der Durchschnitts-Deutsche vor allem Einkaufskörbe und Getränkekisten, Sport- oder Outdoor-Schuhe für Aktivitäten nach der Arbeit. Aber auch einen Regenschirm für alle Fälle und natürlich die sicherheitsrelevanten Utensilien wie Verbandskasten und Warnweste.
Deutscher Kofferraum
All dies ist ordentlich im Kofferraum aufgereiht, möglichst so, dass während der Fahrt nichts durcheinanderpurzelt. Auf diese Anforderungen sind die Kofferräume unserer Fahrzeuge bestens vorbereitet. Der Durchschnitts-Chinese räumt seinen Kofferraum ein wenig anders ein: Für ihn ist es wichtig, dass sein Fahrzeug Flexibilität und viel Platz für „Shopping Bags“ aller Größe bereitstellt.
Und da das Auto nicht – wie in Deutschland regelmäßig üblich – am Wochenende gepflegt und poliert wird, sondern alle Flecken und Spuren die durch Umwelteinflüsse entstehen möglichst sofort beseitigt werden, führt der chinesische Autobesitzer seine Pflegeutensilien direkt im Kofferraum mit. Dafür werden Vorrichtungen erwartet.
Chinesischer Kofferraum
Ein besonders wichtiger Bestandteil des Gepäcks ist in China außerdem die Thermoskanne. Gerne auch mehrere Thermoskannen! Da es laut der traditionellen Chinesischen Medizin als ungesund gilt, kalte Getränke zu sich zu nehmen, ist sie für viele ein beliebter Beifahrer und Begleiter durch die verschiedenen Stationen des Tages. Und da die Tee-Affinität bei uns Chinesen kein Geheimnis ist, können Sie sich sicher denken, was da drin ist.
Koordination ist das A und O
Von solchen „Kleinigkeiten“ wie dem Packverhalten der Kunden kann man ableiten, inwieweit sich die Anforderungen an ein Fahrzeug in den verschiedenen Märkten unterscheiden. Auch in meiner jetzigen Position habe ich wieder eine Art Vermittler-Rolle. Ich versuche in China produzierte Fahrzeugteile mit Teilen aus Deutschland zu koordinieren, so dass sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort zusammen treffen.
Hierfür muss man wiederum die Unterschiede zwischen deutschen und chinesischen Zulieferern sehr gut kennen. Und im Vorhinein Absprachen mit den Kollegen beider Standorte treffen, um die reibungslose Koordination zu sichern.
Ich bin Teil eines Teams, das ein Produktprojekt rund um einen Vierzylindermotor steuert. Der Motor soll nicht nur in Deutschland produziert werden, sondern auch an internationalen Standorten. Künftig kommen also für mich neben der deutschen und der chinesischen Mentalität noch andere Kulturen ins Spiel. Darauf freue ich mich!
Denn die Chance, in internationalen Teams zu arbeiten, war ein wichtiger Grund, weshalb ich mich damals für Daimler entschieden hatte. Auch in Peking hatte ich schon viele deutsche Kollegen und fand die Zusammenarbeit extrem spannend. Mir war also schon vor meinem Start in Deutschland klar, dass ich kulturelle Eigenheiten nicht nur in Bezug auf Kunden und Lieferanten beachten muss, sondern auch in der Zusammenarbeit mit meinen internationalen Kollegen.
Ohne Deadline geht nichts, oder doch?
Mir ist beispielweise aufgefallen, dass sich die Bedürfnisse nach einem Zeitrahmen für Projekte und Aufgaben sehr stark unterscheiden. Die deutschen Kollegen werden erfahrungsgemäß schnell nervös, wenn für ein bestimmtes Projekt keine Termine und Deadlines vereinbart wurden. Denn woher soll man denn sonst wissen, ob man alles pünktlich geschafft hat? Schließlich sind die Deutschen die Pünktlichkeits-Weltmeister.
Genau diese Deadlines sind es jedoch, die wiederum die chinesischen Experten nervös machen. Für sie gilt: Wenn man weiß, dass ein Thema in nächster Zeit (irgendwann diesen Monat) aufkommen wird, oder schwer planbar ist, hält man sich bereit, um jederzeit auf Nachfragen dazu reagieren zu können. So ist eben alles ein bisschen flexibler. Wie aber kann man Flexibilität und Pünktlichkeit, Deutsche und Chinesen, unter einen Hut bekommen? Genau das will ich in den kommenden zwei Jahren herausfinden!






Andere Kultur, andere Sitten
Mehr als zwei Monate sind bereits vergangen, seit ich Anfang Juli in Stuttgart angekommen bin. Der ganz große Kulturschock blieb bisher zwar aus, trotzdem stehe ich manchmal vor Rätseln. Wie ist es möglich, dass ich für den Arbeitsweg von 10 Kilometern hier nur 15 statt 90 Minuten brauche? Offensichtlich haben die Stuttgarter eine etwas andere Vorstellung von morgendlicher Rushhour.
Oder: Wie kommt es, dass die Wohnungssuche in Stuttgart schwieriger ist als in der chinesischen Hauptstadt, die 20mal mehr Einwohner hat? Und wieso ist am Sonntag keine Menschenseele auf der Straße unterwegs? Dass sämtliche Läden geschlossen sind, kann zur bösen Überraschung werden, wenn man 24/7 Öffnungszeiten gewohnt ist. Mal ganz abgesehen davon, dass es in Peking praktisch keine Tages- oder Nachtzeit gibt, zu der man sich auf einer menschenleeren Straße wiederfinden könnte.
Im Gegensatz zur Bevölkerung in Beijing, die höchstens über die Neujahrsfeiertage mal zu Hause bleibt, ist den Stuttgartern eben ihre Ruhe heilig. Aber ab einem gewissen Alter ist es schließlich auch mal ganz angenehm, eine kleine Auszeit von all dem Trubel zu bekommen.
Chinesisch, Englisch und Deutsch
Gemeinsam mit meiner Frau und meiner dreijährigen Tochter Zheng Peixin wohne ich nun in Fellbach. Die zwei sind einen Monat nach mir in Deutschland angekommen. Meine Frau hat früher bereits einige Zeit in Konstanz gelebt. Sie spricht sehr gut Deutsch, da lerne ich im Alltag einiges. Um ihre Geduld und Nerven aber nicht zu sehr zu strapazieren, mache ich doch lieber einen Sprachkurs.
Zwar funktioniert die Kommunikation im Arbeitsalltag auch problemlos auf Englisch, doch gerade in der Freizeit ist es oft frustrierend, kein Deutsch zu sprechen. Deswegen lerne ich fleißig, meine neuesten Vokabeln sind „rechts blinken“ und „links blinken“. Bei unserer Tochter sieht das noch mal anders aus. Meine Frau bringt ihr zwar Deutsch bei, da man sich aber im Alter von drei Jahren noch ganz ohne Worte versteht, freundet sich Zheng Peixin auch ohne große Deutschkenntnisse bereits mit den Nachbarskindern an. Im Sandkasten kennt man eben keine Sprachbarrieren.
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