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Motorenoptimierung in Peking

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Auch in China gilt: Ohne Audit keine Verkaufsfreigabe. Doch was tun, wenn bei unserem Joint Venture BBAC der fürs Audit notwendige IMO-Prüfstand fehlt, der Termin fürs Audit aber schon steht? Kaum hatte ich mich versehen, saß ich mit meinen Kollegen Michael Ufken-Scubiac und Richard Jakobi im Flieger nach Peking.

Vor Ort war dann vor allem eines gefragt: Improvisationstalent. Bevor die Frage aufkommt: IMO steht für Instationäre MotorOptimierung. Auf einem solchen Prüfstand bauen wir vom Kühler über den Motor bis zur Kardanwelle alles auf, was ein Fahrzeug zum Antrieb benötigt. Bei einem Hybriden kommen noch eine Batterie oder ein Batteriesimulator sowie ein Elektromotor hinzu. Klingt kompliziert?

Es lässt sich auch so beschreiben: Wir nehmen ein Auto, entfernen Karosserie, Achsen und Räder und schnallen den Rest auf einen Prüfstand. Der Vorteil: So lassen sich beliebige Fahrstrecken fahren, ohne ein komplettes Fahrzeug bauen und das Gebäude verlassen zu müssen – reproduzierbar an 365 Tagen im Jahr.

Michael Ufken-Scubiac, IMO-Ingenieur und ich

Start mit gemischten Gefühlen

IMO-Prüfstände sind technisch aufwendig, Wissen und Erfahrung sind bei uns in der Untertürkheimer Motorenentwicklung über Jahre gewachsen. Nun sollten wir in drei Wochen einen Prüfstand in Peking zu einem Hybrid-IMO umbauen – inklusive Schulungen der chinesischen Kollegen. Voraussetzung für die Verkaufsfreigabe des C350L Plug-In Hybrid [Mercedes-Benz C-Klasse 350L Plug-In Hybrid, Kraftstoffverbrauch kombiniert 2,4-2,1 l/100 km, CO2-Emissionen 54-48g/km kombiniert] war, dass BBAC nachweislich einen Hybrid-Antriebsstrang testen und Applikationen vornehmen kann.

Wie ist das zu schaffen? So richtig konnten wir uns das noch gar nicht vorstellen. Unwissend was uns in China überhaupt erwarten würde, wohl aber wissend was ein Misserfolg für Daimler und uns für Folgen hätte, machten wir uns mit gemischten Gefühlen auf den Weg nach Peking.

Zwei Wochen Fehlersuche

Vor Ort sahen wir erst wohin die Reise gehen würde. Simple Aufgaben wie zum Beispiel der Motoraufbau zogen sich teilweise über Stunden. Nur was soll man machen, wenn am Getriebe der falsche Flansch (Verbindungstück zwischen Getriebe und Kardanwelle) verbaut und das passende Werkzeug nicht vorhanden ist?

In Untertürkheim – mit Daimler-Spezialwerkzeug – wäre ein neuer Flansch in fünf Minuten montiert. 8.000 Kilometer weiter östlich mussten die chinesischen Kollegen erstmal ihr Improvisationstalent unter Beweis stellen. Mit Erfolg: Spezialwerkzeug hin oder her, der Flansch wurde irgendwie gewechselt und der Motor auf dem Prüfstand aufgebaut.

Prüfstandarbeitsplatz

In den nächsten Tagen drehte sich fast alles um die Software. Das heißt: um Fehlersuche. Dabei hatten wir in Untertürkheim alles genau durchgeplant und jede Menge Equipment mitgenommen. Trotzdem häuften sich die Herausforderungen: Einmal wollte der Hochvolt- Batteriesimulator nicht mit dem Prüfstand kommunizieren – fehlerhafte Software.

Ein anderes Mal klappte der Verbindungsaufbau zu den Motor- und Getriebesteuergeräten nicht – u.a. aktive Wegfahrsperre aufgrund falscher Rüstteile. Auch beim ersten Startversuch gab es Probleme. Der Motor lief, ließ sich aber vom Prüfstand aus nicht richtig ansteuern. Das Problem? Wieder einmal die Software. Für die außerplanmäßige Anpassung der Automatisierungssoftware gingen wir in stundenlanger Handarbeit sämtliche Prüfstandsparameter Zeile für Zeile durch. Zum Glück ließ sich alles lösen. Doch die Uhr tickte.

Rauchende Köpfe: Bevor der Betrieb anlaufen konnte, waren wir viele Stunden mit Fehlersuche beschäftigt.

Es geht voran

In der dritten Woche dann die ersten wichtigen Erfolge. Der Triebstrang startete und das Getriebe schaltete alle Gänge sauber durch. Das Fahrzeugmodell machte aber Probleme. Es wurden weder die Raddrehzahlen noch die Bremsmomente richtig berechnet. Damit war ein sinnvoller und fehlerfreier Hybridbetrieb nicht möglich. Das hieß wieder Fehler suchen, ausprobieren, hoffen – und lösen. Und wieder ein Tag vorbei.

Prüfstand und Antriebstrang waren nun endlich in Ordnung. Jetzt wurde es spannend. Wir flashten das Motorsteuergerät um. Der Triebstrang konnte jetzt Hybrid, zumindest theoretisch. Der nächste Fahrversuch sollte das beweisen. Der Test war auf Anhieb erfolgreich! Das Hybridmodul arbeitete tadellos in allen Betriebsmodi. Wir konnten jetzt konventionell mit Verbrennungsmotor fahren, wir konnten elektrisch fahren, beides zusammen und rekuperieren (Energierückgewinnung). Perfekt.

Bedieneroberfläche

Dennoch waren wir nicht am Ziel und deutlich hinter dem Zeitplan zurück. Die Vorbereitung für einen problemlosen Betrieb unseres Hybriden war maximal auf Laborniveau. Wir mussten noch die Prüfstandsregelung einstellen und „nebenher“ die Bedieneroberfläche für das Audit vorbereiten. Schließlich hatten die chinesischen Kollegen noch nie einen Hybridmotor auf dem Prüfstand betrieben – und nur sie durften beim Audit anwesend sein. Die Schulungen standen auch noch an und wir hatten nur noch zwei Tage Zeit.

Kurz vor knapp

Am vorletzten Tag dann der GAU: Der Prüfstand ließ sich nicht mehr starten. Jemand hatte am Wochenende den Strom im kompletten Gebäude abgestellt. Das hatte unserem Batteriesimulator offenbar geschadet. Längst hatten wir angefangen einen Plan B für den Fall zu entwickeln, dass wir den Zeitplan nicht halten können. Zum Glück war dies nicht nötig. Quasi in letzter Minute erkannte ein chinesischer Kollege, dass durch den Stromausfall die Netzwerkschnittstelle des Batteriesimulators durchgebrannt war – ein „Pfennigartikel“, glücklicherweise ganz schnell getauscht.

Ende gut, alles gut: Der IMO-Prüfstand hielt allen Tests der Auditoren stand.

Nun verbrachten wir die letzten Stunden gemeinsam am Prüfstand und vermittelten unserem BBAC-Kollegen Jörg Geiseder die notwendigen Funktionen. Als erfahrener Prüfstandsführer war er in der Lage, die chinesischen Kollegen nach unserer Abreise rasch einzulernen. Prüfstand und Antriebsstrang waren fertig für das Audit. Knapp, aber fertig.

Am Tag der Auditierung durch die staatliche Behörde waren Mitarbeiter und Prüfstand auf den Punkt fit. Dabei konnten die chinesischen Kollegen eindrucksvoll zeigen, was der Prüfstand im Zusammenspiel mit dem M274 Hybrid-Motor leistet. Die Auditoren waren zufrieden, das Audit bestanden und ein weiteres deutsch-chinesisches Projekt erfolgreich abgeschlossen.

Der Beitrag Motorenoptimierung in Peking erschien zuerst auf Daimler-Blog.


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