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The Future is now!

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„99 Prozent aller Entscheidungen sollten automatisch getroffen werden.“ Das hört sich doch mal nach einer steilen These an, denke ich mir. Gleich streiten sich in meinem Kopf zwei Stimmen. Die eine meint: „Klasse! Alles wird genauer, schneller, effizienter, sicherer“. „Ja schon, nur wirst du dann bald nicht mehr gebraucht“, sagt die andere. Zwei gute Gründe, wieder aufzuschauen und zuzuhören.

In den Raum geworfen hat den Satz gerade Michael Feindt. Er ist Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Jetzt steht er auf der Bühne im Hangar 2 des stillgelegten Flughafens Tempelhof in Berlin. Es ist Anfang Mai und das Handelsblatt hat zum dritten Mal zum Pathfinder-Kongress („The future is now!“) geladen. Das Konzept: Top-Entscheider aus der Wirtschaft bringen jeweils rund 80 Nachwuchskräfte aus dem eigenen Unternehmen und je einen Gastredner mit, der ein Zukunftsthema beleuchtet. Dann wird diskutiert und gegrübelt.

Automatisierte Entscheidungen

Professor Feindt ist der Einladung unseres Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. Manfred Bischoff gefolgt – das Thema: „Automatisierte Entscheidungen“.

Wer dieses Gebiet vorantreibt, muss vermutlich eine positive Grundeinstellung zu „Big Data“ haben. Bei Feindt kann diesbezüglich kein Zweifel bestehen: Seinen wissenschaftlichen Ruhm hat er sich am europäischen Kernforschungszentrum CERN in der Schweiz verdient – dem  größten Datenproduzenten der Welt. Jede Sekunde wirft dort der Teilchenbeschleuniger im Betrieb ein Petabyte Informationen aus. Das ist eine 1 mit 15 Nullen. „Wenn man diese Datenmenge auf herkömmliche CDs pressen würde, entstünde ein Stapel so hoch wie der Eiffelturm“, sagt Feindt.

Mit diesen kaum vorstellbaren Datenmengen hat Feindt einen Prognose-Algorithmus entwickelt, um zukünftige Ereignisse von physikalischen Prozessen vorherzusagen. Der Algorithmus  ist besonders clever, da lernfähig: Er bezieht die Erfahrungen bisheriger Rechnungen in die Berechnung zukünftiger Ergebnisse mit ein. Das Verfahren heißt NeuroBayes®. Wie das ® schon andeutet, hat der Professor sein Prinzip von der Elementarteilchenphysik auf wirtschaftliche Fragestellungen übertragen und verdient damit Geld.

Algorithmen als Grundlage für Geschäftsmodelle

Was ursprünglich nur Physikerherzen höher schlagen ließ, macht mittlerweile auch Manager bei Industrieunternehmen, Versandhäusern, Drogeriemärkten und Zeitungsverlagen glücklicher. Mit der Methode lassen sich eine Vielzahl von Unbekannten präziser schätzen und Maßnahmen darauf ausrichten: Wann kommen wie viele Kunden in ein Geschäft und wie muss daher die Personalplanung aussehen? Bei welchen Kunden lohnt es sich überhaupt noch den guten alten Print-Katalog nach Hause zu schicken? Bei welchen Abonnenten einer Zeitung ist eine Kündigung wahrscheinlich und bei wem sollte deshalb mal wieder eine freundliche Kollegin aus der Akquise anrufen? Auch in Produktion und Einkauf wird der Algorithmus schon eingesetzt.

Algorithmen präziser als Statistik

Auch seine Methode, so Feindt, sei niemals in der Lage, alle Ergebnisse exakt vorherzusagen. Aber viele wissenschaftliche Experimente und praktische Anwendungsbeispiele zeigen, dass sie deutlich präziser ist als andere statistische Vorhersagemethoden  –  und vor allem: in aller Regel deutlich genauer selbst als äußerst gut informierte Entscheidungen eines Menschen. Wenn dieser Mann also sagt, dass 99 Prozent aller Entscheidungen automatisiert werden sollen (und können), muss da was dran sein.

Zwischenzeitlich hat sich auch Manfred Bischoff zu seinem Diskussionspartner auf der Bühne gesellt. So ganz scheint der Aufsichtsratsvorsitzende mit der These von Feindt nicht einverstanden. „Um welche Entscheidungen handelt es sich denn?“, fragt er. Politische, ethische, kreative, strategische Entscheidungen? „Nein“, sagt Feindt. „Die nicht.“ Es gehe erst einmal um Routineentscheidungen; Entscheidungen, die Prozesse und Arbeitsschritte betreffen, die häufig wiederholt werden und ähnlich oder gleich ablaufen. Wenn man so will also ganz überwiegend „operative Entscheidungen“. Alles andere werde auch in Zukunft nur der Mensch beantworten können.

Das relativiert die These – allerdings nur etwas. Denn wie viele „strategische“, „kreative“, „ethische“ oder „politische“- oder anders gesagt nicht-operative – Entscheidungen trifft ein durchschnittlicher Mensch am Tag? Im Vergleich zu Routineentscheidungen doch eher wenige.

Beispiele für Automatisierung

Ich finde es erstaunlich, in wie vielen Lebensbereichen zunehmend (lernfähige) Algorithmen menschliches Entscheiden übernehmen. Eine weitgehende Automatisierung unseres Lebens scheint auch insofern unausweichlich, als die ökonomischen Anreize überwältigend sind. Ein paar Beispiele aus dem Internet, die zumindest mich beeindruckt haben:

Zugegeben: Einige der gezeigten Roboter und die dahinterstehenden Algorithmen stecken sicherlich noch in ihren Kinderschuhen. Aber in ein paar Jahren werden sie uns begegnen – und zwar jeden Tag, in allen denkbaren Situationen. Mich fasziniert diese Aussicht auf eine zunehmende Automatisierung unserer Umgebung  und unseres Lebens: zum einen neue hochinnovative Produkte und Dienstleistungen, die unser Leben bereichern können; zum anderen ungeahnte Möglichkeiten für ein effizienteres und damit ressourcensparendes Arbeiten und Produzieren.

Herausforderungen der Automatisierung

Gleichzeitig stellt uns die Automatisierung aber auch vor Herausforderungen: Schaut man sich die Videos oben an und zählt eins und eins zusammen, liegen diese beispielsweise für den Arbeitsmarkt oder das Thema „Datenschutz“ auf der Hand. Fast alle Redner auf dem Pathfinder-Kongress erwähnten an der einen oder anderen Stelle eine der grundlegenden Voraussetzungen für erfolgreiche Innovation: Gegenüber den Neuerungen und den handelnden Akteuren muss ein grundsätzliches „Klima des Vertrauens“ in der Gesellschaft herrschen.

Ich habe das Gefühl, dass das Thema Automatisierung in der öffentlichen Debatte im Moment recht positiv belegt ist. Damit das so bleibt, sollten alle beteiligen Akteure möglichst früh und transparent die unterschiedlichen Handlungsfelder der Automatisierung beleuchten und insbesondere auch auf die Herausforderungen und etwaige Risiken eingehen. Das gerade veröffentlichte Weißbuch „Autonomes Fahren“ der Daimler- und Benz-Stiftung ist ein gutes Beispiel, wie so ein ganzheitlicher Diskussionsbeitrag zu einem für unser Unternehmen besonders relevanten Zukunftsfeld aussehen kann.

Denkanstöße für die tägliche Arbeit

Der Pathfinder-Kongress war kurzweilig und inspirierend. Aus allen Vorträgen und Diskussionen habe ich Impulse und Denkanstöße für meine Arbeit mitgenommen. Michael Feindt hat dabei aus meiner Sicht die Entwicklung adressiert, die unsere Welt in den nächsten Jahrzehnten am stärksten verändern wird.


Weiterführende Links:

Eine Einführung  zum Algorithmus von Prof. Feindt.

Vorträge von Professor Feindt sind auch auf Youtube zu sehen.

Video-Impressionen vom Pathfinder-Kongress.


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